Gauthier Dance im Anna Haag Mehrgenerationenhaus

Wenn die Zuschauer nicht ins Theater gehen können, kommen die Tänzer eben zu ihnen.

Stuttgarter Zeitung

Ballett: Das Gauthier Dance Mobil bekommt frenetischen Applaus im Anna-Haag-Haus in  Bad Cannstatt

Von Malte Klein

Anna Harms und Leander Veizi wirbeln über die Bühne. Sekunden später halten sie inne. Mit seiner Hand berührt er ihren Nacken, ihre ruht auf seiner Schulter. Nur einen Moment später hebt der Tänzer seine Partnerin empor, schwenkt sie durch die Luft und setzt sie sanft ab. Mit der Kraft ihrer Muskeln und der Dehnbarkeit ihrer Sehnen bilden die beiden Ballettfiguren. Einen Moment lang ruhig, dann wieder sehr schnell.

Die Bühne, auf der sie gestern Vormittag aufgetreten sind, ist nicht etwa in einem Theater. Es ist das Atrium des Anna-Haag-Mehrgenerationenhauses in Bad Cannstatt. Dessen Vorstand Jörg Schnatterer hatte nicht nur die beiden, sondern das zehnköpfige Gauthier Dance Mobil des Theaterhauses Stuttgart eingeladen. Eine dreiviertel Stunde lang tritt die Gruppe des gefeierten Choreografen, Tänzers und Musikers Eric Gauthier auf. „Gauthier kommt in seiner Freizeit zu Leuten, die nicht ins Theater gehen können, weil sie nicht mobil sind”, sagt Schnatterer. Der Auftritt hat drei Teile: Das Aufwärmen mit kurzen Übungen, die sogenannte Probe mit Figuren wie der von Anna Harms und Leander Veizi, und schließlich eine Auftrittsepisode, inspiriert von indischen Bollywood-Filmen.

„Habt Ihr Hunger auf Tanz?”, fragt Eric Gauthier die etwa 200 Zuschauer. Das haben die Kindergartenkinder, lernbehinderten Jugendlichen, Senioren und Mitarbeiter des Anna-Haag-Hauses. Sie sitzen nicht nur vor der Bühne, sondern schauen auch von den Galerien der anderen Etagen und den Treppen herunter. Bevor er beginnt, stellt der gebürtige Kanadier sein Ensemble vor. Die Tänzer stammen aus neun Ländern. Mit dabei sind beispielsweise Armando Braswell aus den USA, Marianne Illig aus Frankreich, Anna Harms aus Australien, Leander Veizi aus Armenien und William Moragas aus Brasilien sowie der Deutsche Florian Lochner. „Wir haben eine bunte Tanzcompany”, sagt Gauthier. Und das ist so gewollt. „Jede Nation tanzt anders und bringt ein anderes Gewürz mit, das eine gute Bolognese gibt.”

Die neun Tänzerinnen und Tänzer zeichnen mit ihren Armen Kreise in die Luft, und beugen ihre Knie. Der erste Höhepunkt ist der Spagat, den Marianne Illig, Leander Veizi und Florian Lochner zeigen. Am besten kommt die Bollywood-Choreografie an. Die indisch-orientalische Musik ist rhythmisch, die Bewegungen schnell und fließend. Die Tänzer stehen hintereinander in einer Reihe und bilden Flöten mit den Händen, schwenken synchron ihre Arme, drehen die Hände wie Teller und schieben einander über die Bühne.

Zum Finale drehen die Tänzerinnen sich vor dem Bauch der Partner ein. Es wird klar, was Eric Gauthier gemeint hat, als er vorhin sagte: „Der Körper kann sprechen.” Das Publikum klatscht frenetisch und fordert eine Zugabe. Wieder Bollywood. Also zeigt das Ensemble die Choreografie zum zweiten Mal – zur Freude aller Generationen.