»Mitarbeiterbindung als zentrale Führungsaufgabe«
Interview mit Vorstand Jörg Schnatterer
Herr Schnatterer, die Zehn-Jahres-Bilanz zeigt kontinuierliches Wachstum. Viele Angebote entstanden neu, bestehende wurden ausgebaut. Wie lässt sich dies steuern?
Nun, zum einen muss man sehen, dass wir nicht beliebig wachsen, sondern neue Angebote nachfrageorientiert an den Bedürfnissen unserer Kunden und Klienten ausrichten. Dabei achten wir auf Individualität, entwerfen Angebote kleinteilig und steigen nicht gleich im großen Stil ein. Wir wachsen also wohldosiert. Zum anderen ist die Entwicklung der letzten zehn Jahre das Gesamtwerk von vielen. Unseren Führungskräften kommt eine starke Rolle zu, sie gestalten Ideen und konzipieren Angebote. Und ich bin stolz auf unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der Umsetzung große Offenheit für Neues beweisen. Und zum dritten haben wir es nach einer Phase raschen Wachstums in den letzten zwei Jahren bewusst langsamer angehen lassen – um zu stabilisieren, um Strukturen zu erweitern und Prozesse zu optimieren.
Gibt es eigentlich auch externe Faktoren, die Entwicklungen des Hauses bremsen?
Da fallen mir zwei Faktoren ein: Zum einen haben wir Ideen, die wir nicht verwirklichen können, weil uns der Raum bzw. die geeignete Immobilie fehlen. Beispielsweise ist dies bei der Tagespflege im Bereich Seniorenhilfe der Fall – wir würden gerne sofort, es fehlt aber am geeigneten Gebäude. Hier bremst uns eindeutig die angespannte Lage am Immobilienmarkt. Ein zweiter Faktor ist der Fachkräftemangel: Der Aufbau neuer Angebotsstrukturen geht mit Personalbedarf einher, und wir spüren hier, dass der Arbeitsmarkt bei Pflege- und Kitafachkräften quasi leergefegt ist.
Der Fachkräftemangel trifft ja auch andere, aber wie gehen Sie damit um?
Genau, das Problem betrifft alle sozialwirtschaftlichen Unternehmen. Wir können im Wettbewerb um Fachkräfte durch unser Gesamtkonzept vergleichsweise gut punkten, soll heißen: Noch bekommen wir offene Stellen besetzt. Und natürlich bilden wir in Pflege und Kita auch selbst aus. Dennoch ist dies ein großes Thema, das wir auf Führungsebene kontinuierlich bearbeiten. Wir blicken dabei auch stark nach innen, mit einem besonderen Fokus auf die Mitarbeiterbindung. Hier haben wir einige Instrumente neu etabliert, darunter »anna@work«, ein System zur Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit. Uns ist aber bewusst, dass Mitarbeiterbindung eine Langzeitaufgabe ist. Aus meiner Sicht gibt es zwei Schlüssel, die wir ansetzen können: Gute Arbeitsbedingungen für unsere Mitarbeiter einerseits, gute Führung andererseits.
Gibt es weitere Themen, die Sie aktuell vor Herausforderungen stellen?
In unserer Bildungsstätte liegt die Herausforderung von je her darin, die Angebote an einen sich ändernden Arbeits- und Ausbildungsmarkt anzupassen. Dies bedeutet Dynamik und verlangt ein hohes Maß an Flexibilität – was ich durchaus positiv sehe. Doch momentan steht unsere Fördergruppe vor einer besonderen Herausforderung. Die Fördergruppe gibt es seit 40 Jahren, wir haben sie stetig weiterentwickelt. Sie folgt heute einem einzigartigen Konzept, das stärkenorientiert ansetzt und junge Menschen mit geistiger Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt integriert – regelmäßig mit Vermittlungserfolgen von über 80 Prozent eines Jahrgangs. Nun wird das neue Bundesteilhabegesetz Veränderungen in der Förderstruktur bewirken, auf die wir uns mit der Fördergruppe sehr kurzfristig werden einstellen müssen. Wir führen seit geraumer Zeit Gespräche mit den unterschiedlichen Kostenträgern und versuchen, die Weichen so zu stellen, dass unser erfolgreiches Fördergruppenkonzept möglichst ohne große Umwälzungen weiterbestehen kann. Doch noch herrscht keine Klarheit, und das treibt mich um.
Eine letzte Frage: Gibt es ein Wunschprojekt, das Sie verwirklichen möchten?
Ja, das gibt es in der Tat. Wir wünschen uns ein zweites, kleineres Mehrgenerationenhaus. Dabei wollen wir kein Abbild unseres Stammhauses schaffen, sondern ein neues Mehrgenerationenkonzept etablieren, das seinen Bewohnern viel Privatheit bietet. Doch hier steht es wie mit der Tagespflege: Der Immobilienmarkt bremst uns aus, wir suchen seit längerem nach einem Grundstück – bislang ohne Erfolg. Sobald wir einen geeigneten Standort finden, werden wir das Vorhaben realisieren. Doch die Standortfrage ist keine leichte, denn bevorzugt suchen wir in Standortnähe zum Stammhaus, also in Bad Cannstatt und angrenzenden Gebieten. Eine weitere Anforderung: Wir möchten auch bei unserem zweiten Mehrgenerationenhaus gestalten und Einfluss auf die Planung nehmen können. Denn wir wissen: Starke Mehrgenerationenhäuser benötigen eine auf das Konzept zugeschnittene Architektur.