In der Fördergruppe findet die berufliche Qualifizierung auch im handwerklich-technischen Arbeitsbereich statt.

Der handwerklich-technische Arbeitsbereich der Fördergruppe ist in der Ausbildungswerkstatt des Anna-Haag-Hauses angesiedelt.

Weiterentwicklung der Fördergruppe zum Berufsbildungsbereich

Zugang zum Arbeitsmarkt bleibt wichtigstes Ziel und Perspektive

Im Januar 2018 traten wesentliche Teile des Bundes-Teilhabe-Gesetzes (BTHG) in Kraft, das zum Ziel hat, die Selbstbestimmungs- und Beteiligungsrechte von Menschen mit Behinderung zu stärken und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu verbessern. Das BTHG bewirkt tiefgreifende strukturelle Veränderungen, die auch das Anna Haag Mehrgenerationenhaus und seine Bildungsangebote für junge Menschen mit geistiger Behinderung betreffen. Dabei entfiel die Finanzierung durch die Eingliederungshilfe für die Fördergruppe, eine landesweit einzigartige Maßnahme der beruflichen Qualifizierung mit Übergang in den Arbeitsmarkt.

Im Anna Haag Mehrgenerationenhaus war bereits vor Inkrafttreten des BTHG klar, dass die Fördergruppe unbedingt fortbestehen sollte – zumal über viele Jahre hinweg regelmäßig über 80 Prozent der Abgänger/innen in Arbeit oder weiterführende Bildungsangebote vermittelt wurden, die Maßnahme also ausgesprochen erfolgreich war. Doch dazu musste die Fördergruppe konzeptionell angepasst und weiterentwickelt werden. Inzwischen herrscht Klarheit: Als »Berufsbildungsbereich eines anderen Leistungsanbieters« bietet die Fördergruppe auch weiterhin eine Alternative zur Werkstätte für behinderte Menschen (WfbM). Anders als bei einer WfbM liegt der besondere Fokus der Fördergruppe jedoch auf der Integration in den Arbeitsmarkt.

In ihrer neuen Konzeption wird die Fördergruppe durch die Agentur für Arbeit finanziert. Eine Aufnahme ist ganzjährig und flexibel möglich, meist findet im Vorfeld ein kurzes Praktikum statt (dazu mehr in diesem Artikel). Insgesamt dauert die Maßnahme zwei Jahre und drei Monate, wobei sie in zwei Phasen gegliedert ist. Der Einstieg erfolgt mit einem bis zu dreimonatigen »Eingangsverfahren«, in dem die Teilnehmer/innen alle Arbeitsbereiche kennenlernen: Im hauswirtschaftlichen Bereich umfasst dies Reinigung und Hausgestaltung, Speisenversorgung, Service (Kantine, Catering, Café) sowie Wäscherei und Textilpflege. Im handwerklich-technischen Spektrum zählen die Pflege von Grün- und Außenanlagen, die Gebäudeversorgung und -reinigung dazu. Das gemischte Team aus Ausbilder/innen, Psycholog/innen, Pädagog/innen und Lehrkräften gewinnt dabei Erkenntnisse zu Fertigkeiten, Leistungsvermö­gen und Förderbedarf der Jugendlichen. Auf dieser Basis entsteht ein individueller Eingliederungsplan mit Fortschreibung der Entwicklungsplanung, Zielvereinbarung mit dem/der Teilneh­mer/in und einem Vorschlag für die berufliche Förderung.

Darauf gründet dann die nächste Förderphase: der auf zwei Jahre angelegte Berufsbildungsbereich. Seine Zielsetzung besteht darin, die Kompetenzen der Teilnehmer/innen so zu stärken, dass eine Integration in den Arbeitsmarkt gelingt. Dazu werden im ersten Jahr, dem »Grundkurs« des Berufsbildungsbereichs, grundlegende Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt. Die jungen Menschen erproben sich in mehreren Bereichen und lernen mögliche Arbeitsplätze kennen. Im »Aufbaukurs« des zweiten Jahres erfolgt dann auf Basis individueller Wünsche und Stärken sowie der entwickelten Kompetenzen eine Vertiefung in ein bis zwei Berufsfeldern. Dabei werden komplexere Arbeitsabläufe trainiert und individuelle Aspekte wie Ausdauer und Belastbarkeit weiter gefördert. In beiden Jahren spielt aber auch die Erweiterung sozialer Kompetenzen, etwa durch Teilhabe an generationenverbindenden Aktivitäten, eine wichtige Rolle.

Für die zentrale Perspektive »Arbeitsplatz« kommt berufsbezogenen Praktika ein hoher Stellenwert zu. Diese sind bereits im Grundkurs möglich, im Aufbaukurs bilden sie dann das Schlüsselelement zur Arbeitsmarktintegration der Teilnehmer/innen. Die pädagogischen Fachkräfte fördern die Jugendlichen, stehen im Austausch mit den Eltern, koordinieren und begleiten die Praktika und unterstützen sowohl die Jugendlichen als auch die Praktikumsbetriebe. Sie sind im Fördergruppenteam maßgeblich für eine passgenaue Vermittlung zuständig und steuern den gesamten Prozess der Arbeitsmarktintegration.

In der Fördergruppe lernt Alex, präzise und sicher an Maschinen zu arbeiten.

Alex wurde im September 2019 – nach seiner Schulzeit im Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) Klosterbergschule in Schwäbisch Gmünd – in die Fördergruppe aufgenommen. Die Entscheidung für das Anna-Haag-Haus traf der selbstbewusste junge Mann, wie er selbst sagt, aufgrund der Berufsperspektive, eine WfbM kam für ihn nicht infrage. Alex wird vom Team als zuverlässig und verantwortungsbewusst beschrieben. Und er engagiert sich, betreut Praktikant/innen, die sich für die Fördergruppe interessieren, erklärt ihnen Abläufe und begleitet sie auf dem Weg zur handwerklich-technischen Ausbildungswerkstatt des Anna-Haag-Hauses.

Überhaupt zeigt Alex ein Faible für den handwerklich-technischen Arbeitsbereich: Der 21-Jährige arbeitet gerne mit Werkzeug und Maschinen, er mag Werkstoffe wie Holz oder Metall, kann aber auch bei der Pflege von Außenanlagen kräftig anpacken. Zwar hat Alex auch in hauswirtschaftlichen Arbeitsbereichen wie Großküche, Wäscherei und Reinigung durchaus Talent bewiesen, doch seine Präferenz ist klar: Alex wünscht sich einen handwerklich-technischen Arbeitsplatz, am liebsten bei einem Hausmeister.

Küchenarbeitssituation der Fördergruppe im Anna Haag Mehrgenerationenhaus

Eine Ausbilderin leitet Desire in der Großküche beim Portionieren von Nachtisch an – und beide haben offensichtlich Spaß dabei!

Desire besucht die Fördergruppe ebenfalls seit September 2019. Gegen Ende ihrer Schulzeit am SBBZ Rohräckerschulzentrum Esslingen kam sie für ein Praktikum ins Anna-Haag-Haus. Im Rahmen eines »Probewohnens« lernte die junge Frau dabei auch das Internat in Stuttgart-Untertürkheim kennen. Das Internat »Haus Rebstock« zählt zu den pädagogisch begleiteten Wohnangeboten des Anna-Haag-Hauses, die von den Sozialämtern finanziert werden. Beides gefiel Desire, und so entschied sie sich für den »Doppelpack« aus Fördergruppe und Wohnen.

Auch Desire fühlt sich im handwerklich-technischen Arbeitsbereich sehr wohl, sie arbeitet aber auch ausgesprochen motiviert in der Wäscherei, wo sie den Geruch frischgewaschener Wäsche liebt. Desire bringt in Fördergruppe und Internat soziale Kompetenzen ein, sie setzt sich für andere ein und ist auf Fairness bedacht. Und sie ist ein großer Fan der generationenverbindenden Angebote: Die 19-Jährige umsorgt Kinder und Senioren beim wöchentlichen »Intergenerativen Frühstück«, sie nimmt gerne an Themenwochen wie der Märchenwoche teil und hat mit ihrem musikalischen Talent das hauseigene Musikprojekt bereichert.

Die Fördergruppe in der Corona-Zeit

Die Fördergruppe findet coronakonform im Präsenzbetrieb statt. Es gelten Abstands- und Hygieneregeln mit Maskenpflicht und regelmäßigen Tests. Zum Schutz der Teilnehmer/innen und Mitarbeiter/innen wurden Luftfilter angeschafft und kleine, feste Gruppen mit zugeordneten Ausbildern und Sozialdiensten gebildet. Für diese gilt ein Gruppentrennungsgebot mit versetzten Anwesenheits- und Pausenzeiten. Alle Gruppen werden täglich in Präsenz gefördert, ergänzt durch Aufgabenelemente für zuhause.

Die hier verwendeten Fotos entstanden bereits vor Beginn der Corona-Pandemie im Februar 2020.